Navigation auf uzh.ch

Suche

Institut für Politikwissenschaft

Eine Million Hektaren Wald und eine Firma aus Dubai - Axel Michaelowa

Eine Million Hektaren Wald und eine Firma aus Dubai: Im kleinen afrikanischen Land Liberia spielt sich die grosse Klimapolitik ab.
Internationale Firmen wollen in Afrika riesige Waldflächen pachten, um CO2-Zertifikate zu generieren. In Liberia frohlockt die Regierung. Doch die Dorfbewohner verstehen nicht, was vor sich geht.

«Wenn dieses Abkommen zustande kommt, dürfen wir keine Fallen mehr stellen, nicht mehr fischen, keinen Reis mehr anbauen. Dann müssen wir den Wald komplett in Ruhe lassen. Aber wenn sie uns den Wald nehmen, wie überleben wir?» Matthew Walley, der das fragt, steht unter den Bäumen, um die er bangt; die Abendsonne tüncht deren Blätter in Gold. Walley ist der Vorsteher des Dorfes Ziah, 200 Einwohner, es besteht aus Lehmhütten mit Palmdächern. Ziah liegt im Regenwald von Liberia, einem kleinen Land in Westafrika, in dem sich gerade globale Klimapolitik abspielt.
 
Vor wenigen Monaten hat Walley erfahren, dass die Regierung seines Landes eine Absichtserklärung unterzeichnet hat, laut der eine Firma namens Blue Carbon die Kontrolle über eine Million Hektaren Wald in Liberia übernehmen will. Liberia ist dreimal so gross wie die Schweiz – eine Million Hektaren sind ein Zehntel des Staatsgebiets.
 
Blue Carbon, so hörte Walley, will den Wald für CO2-Zertifikate nutzen. Das heisst: Die Firma stoppt die Abholzung und vermeidet damit die Freisetzung von Kohlendioxid; die vermiedenen Emissionen kann sie dann in Form von Gutschriften an Unternehmen oder Staaten verkaufen, die damit eigene Emissionen kompensieren.
Kaum Emissionen, aber stark vom Klimawandel betroffen
 
Ähnliches geschieht gerade in vielen afrikanischen Staaten. Deren Regierungen sehen CO2-Zertifikate als einfachen Weg, um an dringend benötigtes Geld zu kommen. Kenyas Präsident Ruto bezeichnete sie vor kurzem als «beispiellose wirtschaftliche Goldmine». Afrika ist für weniger als vier Prozent der historischen CO2-Emissionen verantwortlich, aber stärker vom Klimawandel betroffen als andere Weltregionen.
 
Doch so gross das Potenzial ist: Die CO2-Zertifikate aus dem Waldschutz sind umstritten. Allein dieses Jahr gab es mehrere Skandale um Projekte, die die eingesparten Emissionen massiv überschätzten. Manche Akteure sind vor allem am schnellen Profit interessiert; der Handel mit Kohlendioxid-Gutschriften zieht auch unseriöse Abenteurer an, man nennt sie «carbon cowboys».
 
Die Befürchtung ist gross, dass die Bewohner von Dörfern wie Ziah den Preis für unseriöse Geschäfte bezahlen. Sie dürfen ihre Wälder nicht mehr nutzen, werden aber nicht angemessen entschädigt, oder, im schlimmsten Fall, von ihrem Land vertrieben.
 

Von Dubai nach Liberia

 Die Büros von Blue Carbon liegen weit weg von Liberia – in einem Hochhaus in Dubai. Der Chef der Firma ist Ahmed Dalmook Al Maktum, ein Mitglied der Königsfamilie der Vereinigten Arabischen Emirate. Blue Carbon ist erst ein Jahr alt, aber ehrgeizig: Dieses Jahr hat die Firma Vereinbarungen mit Tansania, Sambia, Simbabwe und Liberia verkündet, über insgesamt fast 250 000 Quadratkilometer Wald – das entspricht der Fläche Grossbritanniens.
 
Die im März von Maktum und dem liberianischen Finanzminister unterzeichnete Absichtserklärung sieht vor, dass Blue Carbon 70 Prozent der Einnahmen aus den Zertifikaten erhält, Liberias Regierung 30 Prozent. Von diesen 30 Prozent soll die Hälfte an die Gemeinden gehen.
 
In Ziah wurden der Dorfvorsteher Walley und die Bewohner weder von der Regierung noch von Blue Carbon gefragt, was sie von den Plänen halten – obwohl sie laut Gesetz die Besitzer des Waldes sind.
 
Blue Carbon steht fast exemplarisch für alles, was Kritiker am Handel mit CO2-Zertifikaten bemängeln. Die Firma hat keine Erfahrung mit dem Kohlendioxid-Markt; sie verhandelt über die Köpfe der Betroffenen hinweg; sie erwirbt Waldflächen so gross wie Staaten, macht aber keine klaren Angaben dazu, wie sie die Wälder schützt oder die eingesparten Emissionen misst.
Bild links: Wald in Ziah. Bild rechts: Der Jäger Joseph Yargar in Ziah zeigt seine Waffen.
 
Der Dorfvorsteher Walley hat sich, weil niemand mit ihm gesprochen hatte, selber schlaugemacht. Er sagt: «Niemand ist dagegen, den Wald zu schützen. Aber diese Zertifikate, der Kohlenstoffmarkt, die Berechnungen, kannst du es erklären? Wir verstehen es nicht.»
 
Wo liegt der Kohlenstoffmarkt?
 
Vielleicht ist das Blue-Carbon-Geschäft ein Extrembeispiel dafür, was falsch läuft beim Handel mit CO2-Zertifikaten. Aber Matthew Walleys Dorf ist nicht das einzige in Liberia, in dem die globale Klimapolitik gerade spürbar ist. Fährt man von Ziah aus dreieinhalb Stunden Richtung Norden, auf rostroten Erdstrassen durch endlosen Wald, gelangt man nach Ziadue. Das Dorf hat etwa 3000 Einwohner, sie sind Bauern, Jäger und Fischer, wie in Ziah.
 
In Ziadue ist, anders als in Ziah, jemand vorbeigekommen, um seine Pläne zu erklären. Es war der Chef einer Firma, die Blue Earth Investment heisst. Er trat im Februar an einer Versammlung auf, las eine Erklärung vor, sagte, er wolle 65 000 Hektaren Gemeindeland pachten, unter Schutz stellen und CO2-Zertifikate verkaufen. Die Gemeinde werde einen Dollar 50 pro Hektare und Jahr erhalten.
 
Emmanuel Roberts war damals dabei, ihm gefiel, was er hörte. Roberts ist erst 35, aber schon seit einigen Jahren Dorfvorsteher in Ziadue. Seine Gemeinde kann Geld gut gebrauchen, es gibt keine Elektrizität hier und keine geteerten Strassen. Blue Earth, dachte sich Roberts, könnte neues Geld bringen – um Brücken über die vielen Bäche zu bauen, die zwei Gesundheitsstationen im Dorf mit Medikamenten auszustatten, um vielleicht ein Gästehaus zu bauen.
 
Aber nicht alle im Dorf teilten Roberts Enthusiasmus. Viele Bewohner sagen, sie verstünden zu wenig, um die Folgen des Projekts abzuschätzen. An der Versammlung stellten sie Fragen. «Wo genau liegt dieser Kohlenstoffmarkt?» – «Werden bei der Kohlenstoffernte Chemikalien eingesetzt, die gefährlich für uns sind?» – «Wie wird das CO2 transportiert?»
 
CO2-Zertifikate sind abstrakte Produkte, schwer zu verstehen nicht nur für liberianische Bauern, die wenige Jahre zur Schule gegangen sind. Es sind unter anderem die zugrunde liegenden komplizierten Berechnungen, die zum Glaubwürdigkeitsproblem beitrugen. Forscher der Universität Cambridge analysierten Projekte zum Schutz von Wäldern und stellten fest, dass bei mehr als 90 Prozent der Zertifikate kein zusätzlicher Waldschutz nachweisbar war. Damit wurden auch keine Emissionen eingespart.
Der Bauer darf nicht mehr roden
 
In Ziadue versuchen die Dorfbewohner gerade zu begreifen, was es hiesse, wenn sie den Wald nicht mehr nutzen dürften, nicht mehr jagen, fischen, ihre Felder erweitern dürften – wie es das Projekt vorsieht. Allison Gbah zum Beispiel, 32, ein Bauer, der wenig sagt und selten lächelt. Er hat ein knapp zwei Hektaren grosses Feld in der Nähe des Dorfes, auf dem er Reis, Cassava und Kakao anpflanzt. Zwei Dutzend Leute arbeiten auf dem Feld, die Köpfe von Frauen ragen aus Reisstauden, sie schneiden Halme mit raschen Bewegungen.
 
«Dort drüben», sagt Gbah und zeigt auf den Rand des Feldes, wo der Wald beginnt, habe er seine Fläche erweitern wollen. Doch der Dorfvorsteher Roberts habe ihm gesagt, er dürfe nicht mehr roden, das könne dem geplanten Abkommen mit Blue Earth Capital zuwiderlaufen.
 
Gbah ist besorgt. Sein Feld ernährt zwei Dutzend Familienangehörige. Die Familie wächst weiter, und Gbah möchte auch sein Feld vergrössern, das heisst: Wald abbrennen, um Platz zu schaffen – wodurch Emissionen freigesetzt werden. Es sind unter anderem Bauern wie Gbah, die dafür verantwortlich sind, dass Liberia seit 2002 14 Prozent seiner Waldfläche verloren hat. Ein Drittel der 4,5 Millionen Einwohner ist für den Lebensunterhalt auch auf den Wald angewiesen.
 
Gbah sagt: «Ich weiss nichts über Kohlenstoff, mein Geschäft ist das Feld hier.»
 
«Wir haben viel Erklärarbeit vor uns»
 
In der Hauptstadt Monrovia – eine Tagesreise von Ziadue entfernt – sitzt jener Mann auf einer Hotelterrasse, der vor einigen Monaten an der Versammlung aufgetreten ist. Augustine Jarrett trägt ein dschungelgrünes Hemd und einen Bart wie ein Waldschrat.
 
Aber der Wald ist nicht Jarretts natürliches Habitat. Er hat 25 Jahre in den USA gelebt, man hört es an seinem Akzent. Wenn er nach Ziadue geht oder in die anderen Gemeinden, mit denen er gerade verhandelt, muss ihm jemand das gebrochene Pidgin-Englisch der Dorfbewohner übersetzen.
 
Jarrett sagt: «Wenn wir den Leuten im Dorf sagen, wir würden sie dafür bezahlen, dass sie die Bäume nicht fällten, denken die: ‹Da muss etwas falsch sein.› Es ging bisher stets um das Gegenteil, darum, Geld zu verdienen, indem man Bäume fällt. Wir haben viel Erklärarbeit vor uns.»
 
Doch Jarrett hat nicht das Gefühl, selber den Experten geben zu müssen, er stellt lieber welche ein. Er sagt, er habe Mühe, Baumarten zu unterscheiden. Jarrett hat in den USA in der Finanzbranche gearbeitet, später in Liberia in der Holzindustrie, bevor er die damalige liberianische Präsidentin in Wirtschaftsfragen beriet. Jetzt ist er 62 Jahre alt und sieht seine Kohlenstofffirma auch als eine Art Spätwerk.
 
Jarrett glaubt, mit den Zertifikaten nicht nur Geld machen, sondern auch seinem Land helfen zu können. Häufiger als vom Klimawandel spricht er von Entwicklung; davon, mit dem Geld aus dem Verkauf der Zertifikate die Dorfbewohner zu besseren Bauern auszubilden – solchen, die das Land effizienter bewirtschaften, statt immer neue Flächen zu roden. «Wir gehen nicht einfach in die Dörfer, verkaufen ein paar Zertifikate und sagen: ‹Vielen Dank, Leute, das war’s.› Wir planen langfristig.»
 
Jarrett hat sein eigenes Geld in Blue Earth gesteckt, in den USA weitere Investoren gefunden und ein Team von einem Dutzend Leuten zusammengestellt. Unter ihnen sind ein Biodiversitätsbeauftragter und jemand, der für die Beziehungen zu den Gemeinden zuständig ist. Zurzeit sind das neben Ziadue vier andere Dörfer.
 
Jarrett hat keine Angst, dass die viele Kritik an den Waldschutz-Zertifikaten seine Pläne stoppen wird. Er sagt, die Kritik helfe der Branche, transparenter zu werden. Die Zertifikate würden auch Afrika helfen: «Es ist das erste Mal, dass afrikanische Länder Finanzinstrumente an die Welt verkaufen können.»
Keine Zukunft für Waldschutz-Zertifikate?
 
Ob die Waldschutz-Zertifikate und damit die Pläne von Blue Carbon, Blue Earth und der liberianischen Regierung eine Zukunft haben, könnte sich bald entscheiden. Vom 30. November bis 12. Dezember findet in Dubai die COP 28 statt, die nächste globale Klimakonferenz. Dort sollen Regeln für den CO2-Handel definiert werden, unter anderem, welche Zertifikate zugelassen sind.
 
Es ist möglich, dass die Pläne von Blue Carbon und Blue Earth nach der Klimakonferenz hinfällig sind.
 
Axel Michaelowa, ein Spezialist für Klimapolitik an der Universität Zürich, der an den Berichten des Weltklimarats mitgearbeitet hat und Regierungen bezüglich CO2-Zertifikaten berät, hält das für wahrscheinlich. Er sagt, gerade Abkommen wie jenes von Blue Carbon mit Liberia seien schädlich: «Die Regierung unterwirft sich einem Ansatz, den sie offensichtlich nicht versteht.»
 
An der COP in Dubai werden sich auch die Verfechter der Waldschutz-Zertifikate zu Wort melden. Afrikanische Regierungen, unterstützt unter anderem von der Gastgeberregierung. Diese hat vor kurzem in Aussicht gestellt, 450 Millionen Dollar in afrikanische CO2-Zertifikate zu investieren. Die Zertifikate könnten unter anderem von den Blue-Carbon-Projekten kommen.
 
In Liberia machen sie weiter. Der Chef der staatlichen Umweltbehörde, Wilson Tarpeh, sagt, das Abkommen mit Blue Carbon werde überprüft, man bemühe sich um ein Regelwerk. Aber es gebe schon viele neue Interessenten für liberianische Zertifikate. Das Potenzial sei gigantisch.
 
In den Wäldern Liberias versuchen sie derweil zu verstehen, was vor sich geht. Wie sie reagieren würden, falls sie in ihren Wäldern tatsächlich nicht mehr jagen, fischen und Felder beackern dürften. In Ziah hat der Dorfvorsteher Matthew Walley eine Antwort gefunden auf die Frage, wie sie im Ernstfall überleben würden. Sie ist trotzig. «Es gibt keinen Plan B», sagt er. «Wir machen einfach weiter wie bisher.»

nzz.ch