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Politische Aussenseiter sind seit einigen Jahren in vielen westlichen Ländern bei Wahlen erfolgreich. Dabei erhalten Politiker aller ideologischen Richtungen vermehrt Zustimmung, wenn sie gegen die eigene Partei oder das politische System rebellieren. In den Politikwissenschaften wurde dieses Verhalten häufig im Rahmen der Populismusforschung untersucht. Bislang fehlt allerdings ein solides Verständnis dafür, wann und warum sich Wähler zunehmend für Rebellen in der Politik interessieren. Die Frage ist deshalb besonders relevant, weil die Zustimmung zu rebellischem Verhalten das Vertrauen in ein politisches System und die sie tragenden Parteien potentiell untergräbt.
Vor diesem Hintergrund formuliert Prof. Proksch folgende Forschungsfragen: Wann und warum schätzen Wähler rebellisches Verhalten? Welchem Narrativ folgen Rebellen und wie wird dieser Narrativ für die Wählerschaft attraktiv gemacht? Gibt es Bedingungen, unter denen Wähler rebellisches Verhalten eher bestrafen als honorieren? Und welche Konsequenzen hat rebellisches Verhalten für den Parteienwettbewerb und das Vertrauen der Bürger in die repräsentative Demokratie?
Theoretisch baut das Projekt auf den Annahmen des Prinzipal-Agenten-Ansatzes auf. Politiker werden als Agenten verstanden, die zwei unterschiedlichen Prinzipalen gegenüber verpflichtet sind: den Wählern und der Partei. Aus diesen Grundannahmen werden sechs Hypothesen abgeleitet: Wähler präferieren Rebellion, wenn die Position des rebellierenden Politikers und die eigene Position beziehungsweise die Position der angenommen öffentlichen Meinung deckungsgleich sind. Weiterhin wird angenommen, dass Wähler Rebellion unabhängig von der Position hinsichtlich einer bestimmten Politik präferieren. Die Effekte dieser Annahmen hängen zudem davon ab, ob die Parteiführung der Mainstream-Parteien das rebellierende Verhalten toleriert oder ablehnt und ob ein stärker Kandidaten- oder Parteien-zentriertes Wahlsystem vorliegt. Ausserdem werden die Effekte vom Standpunkt einer Partei im politischen System beeinflusst.
Als Fallbeispiele für eine empirische Untersuchung werden Deutschland, Frankreich, Italien und das Vereinigte Königreich herangezogen. Deutschland und Italien verfügen über parteienzentrierte Wahlsysteme, während im Vereinigten Königreich und Frankreich kandidatenzentrierte Wahlsysteme existieren. Die Fälle unterscheiden sich nicht nur in Bezug auf ihre Wahlsysteme, sondern auch hinsichtlich der Salienz bestimmter politischer Themen. Laut Daten des Eurobarometers vom November 2017 besitzt das Thema Migration in Deutschland und Italien eine hohe Salienz, während in Frankreich und Italien vor allem das Thema Arbeitslosigkeit hohe Aufmerksamkeit erfährt.
Im ersten Arbeitspaket werden die Reaktionen auf Twitter-Meldungen von Parlamentariern der vier Untersuchungsländer im Zeitraum von 2018 bis 2020 untersucht.
Das zweite Arbeitspaket sieht eine Umfrage mit circa 3.000 Personen pro Land vor. In den Umfragen wird rebellisches Verhalten modelliert und Personen nach ihrer Wahlabsicht und Zustimmung zu hypothetischen Kandidaten befragt. Hierbei werden exemplarisch Themenbereiche wie Steuern, Migration oder Kompetenztransfers an die Europäische Union abgefragt.
Die Ergebnisse des Projektes sollen verstehen helfen, wann Rebellion zur Untergrabung und wann zur Unterstützung demokratischer Strukturen beiträgt.