Navigation auf uzh.ch
Bezüglich Klimaschutz fällt die Schweiz mit einem konkreten Schritt hinter andere europäische Länder zurück. An der Klimakonferenz in Baku droht der Pranger.
Mehr auf nzz.ch (mit log-in, auch als Hörbeitrag)
Zusammen mit 33 anderen Ländern gab die Schweiz 2021 auf der 26. Klimakonferenz in Glasgow ein Versprechen, das sie nun bricht. Die Schweiz gelobte, künftig im Ausland keine neuen fossilen Energieprojekte mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen. Seit Mai 2024 ist diese Aussage Makulatur.
Die Schweizerische Exportrisikoversicherung (Serv) darf wieder Erdgasprojekte im Ausland finanzieren, sofern diese den «wirtschaftlichen, aussen-, handels- oder entwicklungspolitischen Interessen der Schweiz dienen». Dieser Rückschritt der Schweizer Klimapolitik ist in mehrerer Hinsicht problematisch.
In der Wissenschaft herrscht Einigkeit darüber, was getan werden muss, um die globale Erwärmung mit fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken: Von 2018 bis 2100 dürfen nicht mehr als zirka 580 Milliarden Tonnen CO2 (oder Äquivalente) emittiert werden – anderenfalls drohen desaströse Konsequenzen für Mensch und Natur.
Die Zeit drängt mehr, als viele denken
Seit 2010 emittiert die Welt aber jährlich durchschnittlich 56 Milliarden Tonnen, Tendenz steigend. Die Rechnung ist leicht: Wenn wir so weitermachen, ist das verbleibende Budget in wenigen Jahren aufgebraucht. Neuinvestitionen in die Förderung oder Nutzung fossiler Energieträger sind aus klimapolitischer Sicht Fehlinvestitionen.
Andererseits boomt das Geschäft mit Fossilen – insbesondere Erdgas, dessen weltweites Angebot, Transportinfrastruktur und Endnutzung seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine diversifiziert und massiv ausgebaut werden. So sind auch Schweizer Exportgüter wie im Aargau bei der Firma General Electric (Switzerland) produzierte Gasturbinen oder spezialisierte Projektkomponenten der Luzerner Calik Enerji Swiss AG international nachgefragt.
Durch den jüngsten Politikwechsel ermöglicht die Serv diesen Firmen wieder, ihre Produkte auch in politisch oder wirtschaftlich weniger stabile Länder zu liefern. Dieses Jahr werden Exportlieferungen für neue Gaskraftwerke in Turkmenistan und Vietnam im Wert von bis zu 2,4 Milliarden Franken versichert. Im Staatssekretariat für Wirtschaft heisst es dazu: «Bei modernen Gaskraftwerken kann eine Förderung durchaus sinnvoll sein.» Deshalb gelte es, entsprechende Anträge unter Berücksichtigung wissenschaftlicher als auch realpolitischer Aspekte zu bewerten.
Kein Raum für fossile «Brückentechnologie»
Darf eine solche Bewertung glaubhaft zu einer Bewilligung solcher Projekte führen? Realpolitische Gründe für den Ausbau langlebiger Gasinfrastruktur in autoritär regierten Staaten wie Turkmenistan sind fragwürdig, zumal dadurch Stromexporte in das Nachbarland Iran gefördert würden. Auch Vietnam ist nicht gerade eine lupenreine Demokratie.
Während viele Akteure Erdgas als «Brückentechnologie» für den Umbau des Energiesystems sehen, zeigt die Klimawissenschaft unmissverständlich, dass es keinen signifikanten Raum für den Ausbau von Erdgasinfrastruktur gibt: Emissionen aus dem Sektor müssen bis 2050 um bis zu 74 Prozent verglichen zu 2010 reduziert werden. Hingegen müssten die Projekte in Turkmenistan und Vietnam bis zu diesem Zeitpunkt laufen, um nicht als Investitionsruinen zu enden.
Wenn die Schweiz ihrer Führungsrolle in der Umweltintegritätsgruppe bei den internationalen Klimaverhandlungen gerecht werden will, sollte sie den Fehltritt bei der Exportrisikoversicherung schnellstmöglich korrigieren. Ja, sie sollte dem Klimabündnis «Export Finance for Future» europäischer Staaten beitreten und Exporteure in zukunftsfähigen anstatt rückwärtsgewandten Branchen unterstützen.
Im November kommen die Länder zur 29. Uno-Klimakonferenz in Baku zusammen. Die internationale Klimafinanzierung ist dort Thema Nummer eins. Handelt der Bund nicht rechtzeitig, besteht ernsthafte Gefahr, dass die Schweiz vor Ort für den klimapolitischen Rückschritt an den Pranger gestellt wird.